Stillness is monochrome?
Das Schöpferische und der Erfahrungsraum des Hintergründigen
Margit Preis ist eine eindrucksvolle Persönlichkeit, die sich aber gar nicht so leicht beschreiben lässt. Das ist paradox. Paradox ist, wenn Dinge zugleich da sind, die sich eigentlich ausschließen. Nun, Margits Wesen ist paradox, da es sich zugleich durch Bewegung und Ruhe auszeichnet.
In diesem Spannungsfeld des Schöpferischen ist Margit immer bestimmter und entschiedener unterwegs. Ihr Wesen ist luftig und vermittelt etwas Schwebendes. Es kann sich blitzschnell bewegen, aber auch innehalten. Margits luftiges Wesen hat etwas Befreites an sich und es schafft in der Begegnungssituation etwas wohltuend Befreiendes.
Das gilt auch für ihre Kunst. Diesen Eindruck vermitteln ganz besonders ihre Arbeiten mit Tusche und natürlich auch ihr Tanz.
Es gibt die Redensart, dass schöpferische Menschen von einer inneren Melodie
getragen etwas ins Werk setzen. Margit Preis hat nicht nur Tusche, sondern auch den
Tanz im Blut. "
Im Grunde meines Herzens bin ich eine Tänzerin." Wer Margit tanzen
sieht, erlebt ihr ausgeprägtes Rhythmusgefühl, ihren Sinn für Takt und genießt die
Anmut ihrer Bewegungen. Wer 2016 ihre Performance "Tusche im Blut" verpasst hat,
dem sei das auf YouTube wärmstens empfohlen.
Im unsichtbaren Erfahrungsraum des Hintergründigen eröffnet sich die
größtmögliche Annährung an das Schöpferische.
"
Im Schöpferischen ist der Ursprung
Gegenwart." So lautet ein Schlüsselsatz des Dichters und Philosophen Jean Gebser.
Margit Preis war dem Hintergründigen immer schon zugewandt und auch empfänglich
für Impulse aus dieser Sphäre. Ihr gemeinsam mit Dominik Dusek 1999 verfasstes
Manifest "Der versteckte Realismus" zeugt davon. Und natürlich auch die
bemerkenswerte Stilvielfalt ihres künstlerischen Schaffens bis ins Jahr 2012. Erinnert
sei an Christian Knieschecks Satz: "Margit Preis lebt und arbeitet in Wien und ist viel zu
gut, um sich auf einen Stil festzulegen." [vgl. den vollständigen
Text]
Seitdem hat der "versteckte Realismus" aus meiner Sicht an Vordergründigkeit
verloren.
Margit ist tiefer in den Erfahrungsraum des Hintergründigen eingedrungen,
entschiedener dort unterwegs und das hat sich auch auf ihr Kunstschaffen ausgewirkt.
Der hinzugetretene Tanz und das Bild vermitteln Ursprüngliches, denn es sind zwei
Kunstformen, die der Sprache noch nicht bedürfen. Sie sind zugleich zwei elementare
Ausdrucksformen des Menschseins, die uns zur Verständigung schon dienten, lange
bevor hierfür auch Sprache und Schrift hinzutraten.
Wenn wir Margits kalligraphische Arbeiten mit Tusche betrachten, treten uns
Figuren vor Augen, die ein bisschen an asiatische Schriftzeichen erinnern. Man denkt
unmittelbar an einen Text und fragt sich, wovon er berichtet. Allerdings gibt es kein
Alphabet, das Margits Arbeiten entschlüsselt. Aber diese Figuren, entsprungen aus
Margits luftigem Wesen, haben uns etwas zu sagen. Sie sprechen uns an. Margit selbst
spricht nicht von Figuren, sondern von "Wesen", die durch Tusche und ihre schnelle
Pinselführung Gestalt annehmen. Aussagen!
Jedes einzelne Wesen für sich und
zugleich in der Gemeinschaft, die sich auf dem Blatt Papier oder der Leinwand
versammelt hat. Der Bildträger ist begrenzt und zugleich offene Fläche für das
unsagbare Unbegrenzte. Das Bildhafte und tanzende Körper können davon einen
Eindruck vermitteln.
Der Chor war in der griechischen Antike ursprünglich ein umgrenzter Tanzplatz. Das
Wort Choreographie leitet sich von zwei altgriechischen Wörtern ab, die Tanz bzw.
schreiben bedeuten. Margits Kalligraphien vermitteln den Eindruck des Schwebens und
der Bewegtheit, deren Wesen bloß für einen Moment innezuhalten scheinen. Bei
achtsamer Betrachtung setzen sie ihr Schweben und ihre Bewegung nämlich fort.
Margits kalligraphische Arbeiten mit Tusche sind ihrem Wesen nach Choreographien
des stets präsenten Hintergründigen.
Margit Preis hat 2016 von der "Tanzschrift" gesprochen. In der Performance
"Tusche im Blut" bildete sie die Inspirationsquelle für eine Komposition von Shuufuku
Philipp Ueki. Margit hat die Musik Uekis gleichsam durch ihren Körper fließen lassen und
auf diese Weise ihren gemalten Wesen tänzerischen Ausdruck verliehen. Die Töne
gaben dem Körper die Schriftzeichen (Wesen) zurück und wurden zur Bewegung, zum
Tanz, zum Geschehen, an dem das Publikum Anteil nahm.
Im Tanz setzt sich um, was in der Ruhe bzw. Stille dem achtsamen Geist
wahrnehmbar wird. Margit Preis verfügt über eine langjährige Meditationspraxis und
Erfahrung mit buddhistischen Übungen. "Spalte einen Kirschbaum | und du wirst keine
Blüten finden. | Doch der Frühlingswind | bringt Myriaden Blüten hervor." Diese Worte
des Dichters und Zen-Meisters Ikkyû Sôjun (aus dem 15. Jahrhundert), der auch mit
Tusche malte, entsprechen zutiefst Margits luftigem Wesen.
Sie verwendet für ihre Kalligraphien japanische Stangentusche, die sich aus Ruß
als Farbmittel und organischem Leim als Bindemittel zusammensetzt. Die gepresste und
getrocknete Stangentusche wird mit Wasser auf dem Reibstein gelöst. Dieser Vorgang
hat meditativen Charakter und ist für Margit ein Ritual der Sammlung. Die durch das
Beifügen von Wasser
in der Stille zubereitete Tusche bringt sie dann in schnellen
Bewegungen auf das Papier oder die Leinwand. Diese Bewegungen sind wie das
Rauschen der Blätter im Wind, das die Stille des Waldes ergänzt. Margit Preis hört tief
in den Wald hinein und bringt Gehörtes malend und tanzend zum Ausdruck.
Der Wald ist ein Sinnbild und zugleich hintergründiger Erfahrungsraum der Ruhe
und der Bewegung. Aus tiefenpsychologischer Sicht ist der Wald eine Entsprechung des
Unbewussten. Das Unbewusste umfasst nach C. G. Jung in seiner ungeheuren Weite
und Tiefe unser Bewusstsein wie eine Lichtung.
Die uns nährenden Quellen und
Lebensströme des Hintergründigen sind uns als Orte der Regeneration ganz konkret
zum Beispiel in den Wäldern erfahrbar. Der Wald mit seiner heilsamen Stille und dem
Rauschen der Blätter im Wind spielt im Leben und in der Kunst von Margit Preis eine
große Rolle.
Sie liebt es, insbesondere den Wald am Cobenzl zu durchstreifen. Das ist ihr
bevorzugtes Refugium und dort hat sie auch einen stimmigen Ort für ihr jüngstes
Werkschaffen gefunden. Es handelt sich dabei um eine Zusammenarbeit mit dem aus
Indien stammenden und in London lebenden Choreographen Saju Hari und den
Musikern Günther Bosek, Shuufuku Ueki und Tim Preis. Ihre Tanzperformance samt
Ausstellung trägt den Titel: Stillness is monochrome?
Es ist eine Frage, die Margit Preis
und Saju Hari an uns richten. Nicht mit sprachlichen Mitteln, sondern mit Tanz, Musik
und Bildern, die von allen Kunstformen jene sind, die uns ganz unmittelbar berühren.
Margits luftiges Wesen wird am 20. Juli 2018 im Marmorsaal des Luftschlosses Cobenzl
einen Raum vorfinden, dessen Atmosphäre im Stillen Freude auf "" wachsen lässt. Es gilt dem Schöpferischen nachzuspüren, und zwar an
den Berührungsflächen von Ruhe und Bewegung. Wir sind eingeladen, einer Ursprungserfahrung
beizuwohnen und sie mit Margit Preis zu teilen.
Elmar Schübel, Wien im Juni 2018